Renten in Deutschland, eine Chronik des Versagens ?

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Aus einer Veröffentlichung von Gert Flegelskamp
Erstelldatum: 13.07.2009

Für die jüngeren Generationen ist so eine Chronik deshalb wichtig,
um zu erkennen, wie die Rentenbeitragszahler ständig zu Kasse gebeten worden sind. Hier sind mal alle Grausamkeiten vergangener Jahrzehnte aufgelistet, um auch den jüngeren Generationen aufzuzeigen,
wie der Verfall der Rente unaufhaltsam fortschreitet.
Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Zunächst: Eine Chronik üblicher Propaganda

Ein Punkt in der Propaganda jung gegen alt:
„Die Alten beuten die Jungen aus und plündern die Rentenkasse!“
Es gibt keine Rentenkasse im eigentlichen Sinn. In der Rentenkasse wird lediglich eine Mindestreserve gehalten, mit der Schwankungen unterjährig ausgeglichen werden sollen. Die Beiträge in die Rentenkasse werden sofort wieder als Rente an die Rentner ausgezahlt (Umlagenprinzip). Wer dieses System für falsch hält, kann nicht rechnen. Beiträge fließen auf diese Weise sofort zurück in den Wirtschaftskreislauf und stärken die von der Politik ansonsten stets vernachlässigte Binnenwirtschaft. Der Verwaltungsaufwand für dieses System beträgt ca. 10% des Aufwandes der privaten Versicherer. Renten werden ausschließlich aufgrund des Beitragsaufkommens berechnet und nicht, wie in der privaten Versicherungswirtschaft aufgrund einer angenommenen Lebenserwartung von fast 100 Jahren (ein Alter, das kaum ein Rentner der GRV erreichen dürfte). Nur ein Umlageverfahren gewährleistet eine sichere Rente, weil es flexibel anpassbar an jede wirtschaftliche Situation ist. Wer in der privaten Rentenversicherung heute eine Rentenversicherung abschließt, schließt diese auf einen fixen Auszahlungsbetrag ab. Was er sich in 20 bis 45 Jahren für diesen Auszahlungsbetrag noch leisten kann, das erzählt ihm keine Versicherung und kein Versicherungsvertreter, kein Prof. Rürup oder Prof. Raffelhüschen, kein Politiker Riester, Müntefering, Merkel oder Westerwelle. Aber diese Damen und Herren vergessen auch stets die Erwähnung ihrer rein aus Steuermitteln und ohne jede Eigenleistung finanzierten Altersbezüge, deren Höhe wirklich einen direkten Bezug zu ihren vorherigen Einkünften haben und ein Mehrfaches einer normalen GRV-Rente betragen.

Rentenszenario

1957 Übergang von einem zum Teil kapitalgedeckten zum rein umlagefinanzierten Rentensystem. Gleichzeitig wird die bruttobezogene Rente eingeführt (der so genannte Generationen-Vertrag.

1960 Aussiedler und Vertriebene aus Osteuropa bekommen auch ohne eigene Beitragszahlung denselben Anspruch auf eine Rente wie die in vergleichbaren Berufen in der Bundesrepublik. Der erste Sündenfall in Sachen versicherungsfremde Leistungen.

1972 Eine Rentenreform ermöglicht allen Bundesbürger nachträglich Beiträge für die Jahre 1956 bis 1973 zu Vorzugskonditionen in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen, um einen Rentenanspruch zu erwerben oder zu steigern. Zuvor konnten Beitragszahler, die nicht mehr beitragspflichtig waren, ihre evtl. zuvor eingezahlten Beiträge auf Antrag zurückerstattet bekommen (nur Arbeitnehmeranteil und unverzinst). Häufig hatten Frauen davon Gebrauch gemacht, die nach einer Heirat und der Geburt eines Kindes ihre Berufstätigkeit aufgegeben hatten.

1976 Im Bundertagswahlkampf versprechen SPD und CDU bei ihrem Wahlsieg die Rente um 10% zu erhöhen

1978 Das Frühpensionierungsgesetz ermöglicht den Männern, unter relativ leichten Voraussetzungen schon mit 60 Jahren ohne Abschläge in Rente zu gehen. Damit wurde der Grundstein gelegt, dass Unternehmen ihre älteren Mitarbeiter zu Lasten der Rentenkasse in den Ruhestand schicken. Weil Unternehmen eine Aufstockung vornahmen, wenn Arbeitnehmer noch früher, zu Lasten der Arbeitslosenversicherung, ihre Jobs aufgaben, wurden die Steuerzahler und Beitragszahler geschädigt:

  • Unternehmen nutzten Geld aus der Arbeitslosenversicherung zum Abbau von Arbeitsplätzen
  • Unternehmen belasteten die Rentenkasse mit dem Abbau von Arbeitsplätzen
  • Unternehmen konnten die damit verbunden Kosten (Abfindungen, Aufstockungen) steuerlich abschreiben

Im Unternehmer- und Politiker-Jargon nannte sich das „sozialverträglicher Stellenabbau“.

1979 Bundesminister Ehrenberg (SPD) jongliert mit der Rentenformel. Für einen Durchschnittsrentner bedeutet das ein Minus von ca. 1.000 DM jährlich !

1990 SPD und CDU überbieten sich im Wahlkampf mit der Aussicht auf großzügige Rentenanpassungen für die neuen Bundesländer. Die im späteren Überleitungsgesetz beschlossenen Regelungen kosten der Rentenkasse WEST jährlich Milliarden, für die Rentner OST, weil diese Übernahme nicht aus Steuermitteln und damit durch alle Steuerzahler finanziert wurde, sondern ausschließlich durch Beitragszahler der GRV.

1991 CDU Blüm setzt die Bewertung von Schul- und Ausbildungszeiten herab. Das bedeutet ein Minus von ca. 330 DM jährlich für die Betroffenen. Allerdings war und ist diese Leistung ohnehin eine Fremdleistung der Rentenkasse.

1992 Die Rentenanpassung wird von der Brutto- auf die Nettolohnbasis umgestellt. Außerdem werden nur noch maximal 7 statt bisher 13 Jahre Ausbildungszeit auf die Rente angerichtet. Daraus folgt ein Minus von 1200 DM jährlich.

1997 Blüm streicht weiter. Rente nur noch für 3 Jahre Ausbildung. Folge: minus 900 DM Rente jährlich.

1999 SPD Riester will die Rentenerhöhungsautomatik um 2 Jahre aussetzen und nur noch einen Inflationsausgleich zugestehen. Folge: minus 600 DM Rente jährlich.

FAZIT

Allein in den vergangenen 20 Jahren wurden die Renten um rund 3900 DM (gemessen am Durchschnittsrentner) jährlich gesenkt. Für die – in der Realität nicht vorhandenen – Muster- oder Eckrentner bedeutet das ein Loch von ca. 330 DM monatlich (fast ein Drittel der heute durchschnittlich gezahlten Rente), für die echten Rentner noch mehr.

Ausgleichfaktor, Rentenniveau und weitere Grausamkeiten:

Von 2001 an bis 2030 werden die Rentenansprüche von Neurentnern gekürzt. Dieser Ausgleichsfaktor steigt jährlich um 0,3 % Punkte. Wer 2020 in Rente geht, muss also eine Kürzung um 6% (20*0,3) hinnehmen.
D.h. wird eine jährliche Rentenerhöhung mit einem Prozentpunkt festgelegt, werden bei Neurentnern die besagten 0,3% abgezogen, sodass hier nur eine Rentensteigerung von 0,7% wirksam wird.

Derzeit liegt das Rentenniveau zwischen 68,5 und 70 % des durchschnittlichen Nettoerwerbseinkommen. Für Neuzugänge bis 2015 soll es 68% des durchschnittlichen Nettolohns betragen. Bis 2020 sinkt es auf 67%, danach erreicht es das angestrebte Mindestniveau von 64%. So zumindest wurde es von Riester vorgestellt. Tatsächlich ist das Rentenniveau inzwischen wesentlich weiter gesunken (2020 liegt das Rentenniveau bei 46 Prozent und soll bis im 2030 auf 43 Prozent absinken! anm. d. Red.)

Quelle: DMEuro Nr. 45 vom 8.11.02

In dieser Aufzählung fehlt folgendes Szenario aus den 70 er Jahren, an dem ich mich sehr stark erinnern kann:

Nach dem Abschnittdeckungsverfahren wurde 1969 die Schwankungsreserve eingeführt, diese betrug im Jahre 1969 7,9 Monatsrenten.

1973 betrug sie fette 9,4 MR bei einer Rentenanpassung damals von 11,35 %; danach crashte die Schwankungsreserve binnen der nächsten 6 Jahre auf unter 2 MR (1979 1,9 MR) Apropos, mit 0,58 und 0,60 MR (1996/97) und einem leichten Anstieg in den Folgejahren, liegt sie schon heute auf einem historischen Tief.

Bundeskanzler Helmut Schmidt hat, in seiner Regierungszeit, laut über die Rentenrücklagen nachgedacht. Er befand; diese sind viel zu hoch, und müssen zur Haushaltskonsolidierung herangezogen werden. Aus der Rentenkasse haben sich schließlich mehr oder weniger alle Regierungen bedient. Frage; gab es hier einen Aufschrei der Rentenversicherer oder sonstige Interessenvertreter des Volkes ??

* Die von der Bundesregierung eingesetzte so genannte Rürup-Kommission zur Reform der gesetzlichen Rente empfiehlt, das Renteneintrittsalter von 2011 an stufenweise von 65 auf 67 Jahre anzuheben. Zusätzlich sollen die jährlichen Rentensteigerungen künftig leicht gedämpft werden, um die Beiträge stabil zu halten. Dieser Demografische Faktor war bereits von Blüm eingeführt, aber unter Bundeskanzler Schröder kurz nach dessen Amtsübernahme im Jahre 1998 wieder abgeschafft worden.

* Quelle GELDIDEE 10/2003

Die Erhöhung des Renteneintrittsalter dient in erster Linie dazu, Rentner durch höhere Abzüge zur Kasse zu bitten. Wenn heute jemand mit 60 in Rente geht, muss dieser mit 18 % Kürzung rechnen und dies lebenslang !! Bei der Rente mit 67 muss jeder mindestens 2 Jahre länger arbeiten, bei gleichen Rentenabschlägen!

Im so genannten Nachhaltigkeitsfaktor bei der Rente wurde nicht nur die ursprünglich auf die Bruttoeinkommen ausgerichtete Rentenanpassung auf die Nettoeinkommen minimiert, sondern zusätzlich an die Anzahlt der Beschäftigten gekoppelt und somit Rentner für die Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht. Hinzu kommt der Riester-Faktor, eine Rentenabzug zugunsten der Privatversicherung.

In dieser weiter oben aufgeführten Aufzählungen fehlt auf der anderen Seite die Steigerung der Rentenbeiträge die von der arbeitenden Bevölkerung gezahlt werden musste. Hier wurden die eigenen Bruttobezüge, die der Rentenversicherung unterliegen, bis jeweils zur Beitragsbemessungsgrenze herangezogen.

  • 1958 14%
  • 1972 17%
  • 1977 18%
  • 1986 19,2%
  • 2005 19,5%
  • 2007 19,9%

Aber, liebe Rentner, Ihr dürft Euch nicht beschweren, denn Ihr wählt diese „Herrschaften“, Ihr seit eine sichere Bank für CDU und SPD seit Beginn der BRD. Männliche Rentner wählen am liebsten die CDU, wohl deshalb, weil sie glauben, etwas von Wirtschaft zu verstehen und deshalb der CDU wirtschaftliche Kompetenz zubilligen. Aber diese Kompetenz liegt ungefähr auf dem gleichen Level wie Eure eigene wirtschaftliche Kompetenz, bei einem Wert von 1 bis 10 bei minus 1. Unsere Rentnerinnen halten sich lieber an die SPD. Was sie dieser Partei für Kompetenzen zubilligen, ist in gleichem Maße unergründlich wie die weibliche Psyche. Diese so genannte Arbeiterpartei hat ihre Wähler immer verraten, wenn sie an die Macht gekommen ist und ihre Spitzenfunktionäre haben den Drehtüreffekt (aus der Politik der Wechsel in Wirtschaftspositionen) stets zu nutzen gewusst.

Der Titel diese Beitrags ist: „Renten in Deutschland, eine Chronik des Versagens“. Ich möchte hier klarstellen, gemeint ist nicht das Versagen der Politik, sondern das Versagen der Bevölkerung. Sie weiß seit langer Zeit, dass Politiker keine Volksvertreter, sondern verkappte Wirtschaftslobbyisten sind und hat es zugelassen. Die Bevölkerung ist es, die zuließ, dass die Arbeitslosigkeit derartige Ausmaße angenommen hat, dass die Sozialen Leistungen wie die Löhne ständig gekürzt wurden, dass heute Menschen für Löhne arbeiten, die nicht einmal zum Leben reichen und sie von der staatlichen Mindestsicherung (ein fehlerhafter Begriff, denn als Mindestsicherung ist die Zahlung viel zu niedrig) abhängig machen. Die Bevölkerung lässt sich von den Aussagen der Lobbyisten (egal ob innerhalb oder außerhalb der Politik) beeindrucken, das das Wichtigste sei, Arbeit zu haben, denn das steigere das Selbstwertgefühl. Ich vermag in sklavenmäßiger Zwangsbeschäftigung nichts finden, was das Selbstwertgefühl zu steigern vermöchte. Das Gegenteil sollte der Fall sein. Aber die Bevölkerung nimmt es hin und wählt diese Leute bei jeder Wahl erneut. Denn auch jeder Nichtwähler wählt diese Parteien und wird mit zusätzlichen Steuern und Abzügen dafür belohnt. Die Politik hat nicht versagt. Sie hat umgesetzt, was das Kapital von ihr verlangt hat. Und heute spannt die Politik Rettungsschirme und schnürt Rettungspakete für das Kapital, nicht für das Volk. Das Volk bleibt im Regen stehen und darf Schirme und Pakete nur zahlen.
Das ist Deutschland und Ihr seid wirklich Deutschland.

 

Bild: pixabay – Atemberaubende kostenlose Bilder  
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Text: aus einer Veröffentlichung von Gert Flegelskamp
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